Ewiger Landfriede â Kapitel 2 â Fortsetzungsroman
Der folgende Text ist ein sogenannter Fortsetzungsroman. Diese Art von Roman wurde in Frankreich als sogenannter Feuilletonroman erfunden. Er wurde im Feuilleton, also im Kulturressort einer Zeitung, abgedruckt. Jede Woche konnten so die Leser ein neues Kapitel ihres Lieblingsromans lesen. Das folgende Kapitel ist inspiriert von diesen Romanen. Bram Stokerâs Dracula ist das Musterbeispiel und ein direktes Vorbild. Der Titel âEwiger Landfriedeâ bezieht sich auf ein 1495 erlassenes Gesetz, welches alle Blutfehden fĂŒr beendet erklĂ€rt. Der Roman ist in Briefform geschrieben, also Briefe, welche die Hauptfigur an ihren Bruder schreibt.
Kapitel 2
27. August 1495, Hannover
Die Zeit ist vergangen wie im Fluge. Michael ist eine Offenbarung. Ich habe in den letzten beiden Tagen mehr ĂŒber die Tzimas gelernt als in den letzten fĂŒnf Jahren zusammen.
Als ich dir zuletzt von meiner Begegnung mit Michael schrieb, hĂ€ttest du es leicht falsch verstehen können. Lass mich dir noch einmal versichern, dass er unser Freund und Alliierter ist. Er hat ebenso durch die Taten der Tzimas gelitten wie wir. Auch wenn er kaum Details aus seiner Vergangenheit mit mir teilt, konnte ich aus dem Schmerz, der in seiner sonst so gemessenen Stimme durchscheint, wenn er ĂŒber seine Geschichte spricht, erhören, dass seine Fehde ebenso legitim ist wie unsere.
Was ich von ihm erfahren konnte, war, dass er aus Griechenland stammt. Er selbst bezeichnet sich als Römer, hat bei meiner Nachfrage jedoch zugegeben, dass er in Thessaloniki geboren ist. Es gibt zu viele Narren, die sich zu Erben Roms erheben. Michael ist alles andere als ein Narr. Wenn jemand die NobilitÀt und StÀrke Roms verkörpert, dann er.
Auch ich habe nicht alles mit ihm geteilt. Unsere Ziele mögen sich ĂŒberschneiden, es ist jedoch zu frĂŒh ihm zu vertrauen. Was ich ihm anvertraut habe, ist, dass unsere Familie ein BĂŒndnis mit den Tzimas eingegangen ist und im Moment der Entscheidung von ihnen verraten wurde. Dies scheint, laut Michael, ihr Modus Operandi zu sein. Was ich nicht mit Micheal geteilt habe, soll auch nicht auf diesem Papier niedergeschrieben werden.
Unsere Suche schreitet nun deutlich gezielter voran. Ein Partner macht eine komplexe und offene Aufgabe wie meine deutlich einfacher. Probleme und Fragen, welche sonst ewig in meinem Geist umhergekreist wĂ€ren, können mit einem einfachen GesprĂ€ch gelöst werden. Auch Michael scheint mit meiner Gesellschaft zufrieden zu sein. Er teilt gerne Geschichten und Erlebnisse aus seinen ereignisreichen Reisen. Ich muss zugeben, dass ich mich von Zeit zu Zeit wie ein Kind neben ihm fĂŒhle. Eine solche FĂŒlle an Abenteuern in einer Lebenszeit zu erleben, scheint mir unmöglich zu sein. Dennoch spricht er mit einer solchen Gelassenheit und Sicherheit, dass ich ihm glauben muss. Meine Frage nach seinem Alter hat er nur mit einem LĂ€cheln beantwortet.
Mein Vertrauen in seine FĂ€higkeiten und die Wahrheit seiner Worte ist nicht völlig unbegrĂŒndet. Bei unserer Suche stieĂen wir auf ein Haus, welches scheinbar von den Tzimas als StĂŒtzpunkt genutzt wird. Auf der OberflĂ€che wirkte es wie ein durchschnittliches Familienhaus am Rande der Stadt, innerhalb der Stadtmauer. Auch das Innere des Hauses war zunĂ€chst so unscheinbar wie möglich, zu unscheinbar. Erst als wir die verborgene Kellertreppe fanden wurde uns die Illusion bewusst. Einzig durch den faulen Geruch, der durch die hölzerne Klappe aus dem Keller aufstieg, konnten wir ihn finden.
Unser Abstieg in das lichtlose Loch wirkte wie der Einlass in die Hölle selbst. Die Finsternis wurde nur durch unsere Fackeln erhellt. Das flackernde Licht war tanzende Schatten an die schimmligen WÀnde, die jede Bewegung in den Augenwinkeln zu denen eines Feindes machten. Was wir in diesem Abgrund fanden, waren KÀfige. Rostige und blutverkrustete KÀfige. Die meisten ohne Bewohner. Lediglich in zwei der KÀfige fanden wir mumifizierte Leichen. Das Alter und Geschlecht der Toten war nicht mehr identifizierbar. Wir hatten uns gerade an die zuckenden Formen an den WÀnden gewöhnt, als tatsÀchlich ein Angriff aus den Schatten erfolgte.
Ein bleicher Soldat mit roten Augen und gefletschten ZĂ€hnen stĂŒrzte sich auf uns. Wie diese, kaum noch als Mensch erkennbare Kreatur in der Finsternis leben konnte ist mir ein RĂ€tsel. Ich konnte kaum mein Schwert heben, als Michael sich bereits drei Schlagabtausche mit der Kreatur geliefert hatte. Das Blut, was aus der frisch geschlagenen Wunde in der Schulter der Kreatur lief, war zu dickflĂŒssig und gerann sofort. Die Augen der Kreatur waren der SchlĂŒssel zum Sieg. Die roten Pupillen zuckten unter dem Licht unserer Fackeln, also griff ich nicht mit meinem Schwert, sondern ebenjener Fackeln an. Ein StoĂ nach dem Gesicht der geifernden Kreatur brachte sie so aus dem Konzept, dass Michael mit einem wohlgezielten Streich den Kopf vom Rumpf trennen konnte.
Einen solchen Kampf Schulter an Schulter mit jemandem zu ĂŒberstehen, schafft mehr Vertrauen als jeder Eid der Treue. Was wir sonst in diesem höllischen Keller fanden, schreibe ich dir so bald wie möglich.
In Liebe und LoyalitÀt,
dein Bruder Ulrich Leine
Kapitel 1: https://intres-online.de/fortsetzungsroman-kapitel-1/
Inspiriert von Bram Stokerâs âDraculaâ: https://www.gutenberg.org/files/345/345-h/345-h.htm#chap01