Welche Stärken und Schwächen haben Computerspiele in der Bildung?
Ich erinnere mich noch ganz genau an den Moment, in dem ich zum ersten Mal Computerspiele im Bildungskontext gesehen habe. Als ich als Kind das Deutsche Historische Museum in Berlin besucht habe, wurden die Taktiken der römischen Legionen auf einem Bildschirm neben einem großen Modell des Limes dargestellt. Ich war völlig verwundert, als ich gemerkt habe, dass ich die Bilder auf dem Bildschirm wiedererkannt habe. Es war das Computerspiel Rome: Total War. Dieses 2004 erschienene Strategiespiel ist bis heute eines der Musterbeispiele für realistische Simulationen von Truppenbewegungen. Dieses Wiedererkennen hat mich als Kind begeistert und fasziniert mich bis heute.
Doch sind Computerspiele wirklich ein gutes Tool, um Kindern Inhalte zu vermitteln?
In diesem Artikel werde ich sie vor allem für den Geschichtsunterricht und historische Inhalte allgemein evaluieren.
Computerspiele: Realismus oder Spaß?
Bleiben wir zuerst beim Beispiel von Rome: Total War. Es ist, wie gesagt, außerordentlich realistisch, was das Verhalten der römischen Legionen angeht. Wenn ein Kind allerdings nur das hört und daher darauf schließt, dass auch alle anderen Aspekte des Spiels so realistisch wie möglich sind, führt dies schnell zu Verwirrungen. Fast alle anderen Völker in Rome: Total War sind kaum akkurat simuliert. Die Gallier sind halbnackte Barbaren, die in unorganisierten Massen umher rennen. Die germanischen Stämme dagegen haben übermenschlich starke Barbaren in ihren Armeen, die gegnerische Truppen mehrere Meter weit durch die Luft schleudern. Um die Liste historischer Fehler kurzzufassen, schließe ich sie mit Ägypten ab. Ägypten in Rome: Total War ist ein Ägypten der Bronzezeit, das knapp 1000 Jahre aus der Zeit gerissen wurde. Diese „Fehler“ sind Teil des Spiels, weil sie cool sind und Spaß am Spiel machen, nicht weil die Entwickler nicht wussten, dass Ägypten um das Jahr 0 nicht mehr das Ägypten der Bronzezeit war. Das Kernproblem bleibt also, dass Computerspiele in bestimmten Aspekten einen historischen Realismus erzielen können, aber in allen anderen Aspekten den Spaß der Spieler als wichtiger erachten müssen.
Die Verführung der Simulation
Ein weiteres Problem ist die Macht, die eine vollständige und kompetente historische Simulation auf den Spieler ausüben kann. Das perfekte Beispiel hierfür ist Europa Universalis 4. Dieses Spiel simuliert die politische Entwicklung der ganzen Welt zwischen Jahren 1444 und 1821, und erlaubt dem Spieler die Kontrolle über ein Land ihrer Welt zu übernehmen, und so den Lauf der Geschichte zu beeinflussen. Eine Vielzahl fester historischer Ereignisse beeinflusst den Spielfluss, wie zum Beispiel der Vulkanausbruch des Huaynaputina im Jahr 1600, durch den die landwirtschaftliche Produktion weltweit geschädigt wurde. Andere Ereignisse wie zum Beispiel die Geburt Leonardo da Vincis ist semi-zufällig. Alle italienischen Staaten haben um das Jahr 1500 eine Chance, ihn als außerordentlichen Berater zu erhalten. In diesem Satz findet sich das Kernproblem und die große Stärke dieser Simulation: das Wort „Staat“. Der Spieler sieht die Welt aus der Sicht eines Staates. Das heißt, dass die Linse, durch die der Spieler die Weltgeschichte sieht, auch die Sicht eines Staates ist. Dieser Fakt bedeutet, dass der Spieler die Probleme und Entwicklungen der Staaten wundervoll verinnerlicht. Es bedeutet aber auch, dass der Spieler leicht vergessen kann, dass Staaten aus Menschen bestehen. Das Individuum spielt in solchen Simulationen oft keine Rolle. Auch andersherum wäre es gefährlich. Die Weltgeschichte nur aus der Perspektive eines Individuums zu sehen, wäre völlig unvollständig. Deswegen ist es wichtig, sich klarzumachen, dass jede Linse nur eine Perspektive ist, die genauso valide ist wie alle anderen, und sich nicht von der Macht der Simulation in die Irre führen zu lassen. Nur wenn man verschiedene Linsen nutzt, beginnt man Ansätze eines vollständigen Bildes zu sehen.